Kunstkatalog Stefanie Brehm

5 Vom Glück der Farbe auf dem Zylinder Wie Stefanie Brehm elementare Formen in Bewegung versetzt Prof. Dr. Johannes Kirschenmann 22 Meter lang war der große, mächtige Zopf aus großnoppiger, weißer Luftpolsterfolie, der gut ge- knotet an der Fassade der Münchner Kunstakademie hing – so als hätte Rapunzel sich dort mal kurz in den Englischen Garten geschwungen. Stefanie Brehm, die schon immer so unaufgeregte wie umtriebige Stu- dentin, lächelte damals dazu. Wie sie immer lächelt, wenn sie mit ihrer Kunst die Menschen in ein Er- staunen versetzt und dabei, milde verschmitzt, Sinn und Bedeutung an die Betrachter delegiert. Und das gelingt ihr fraglos in ihrem fortwährenden Spiel mit Form, zu der sie wohlüberlegt die Farbe hinzugibt. Stefanie Brehm gehört zweifellos zu den Künstlern in der Keramik, die die Begrenzungen der klassischen Keramik in immer neuen Schritten überwinden oder schon überwunden haben. Material und Farbe sollen das Betrachterauge neu- gierig machen, zum Erforschen und Näherrücken einladen, sagt die Künstlerin im Gespräch. Sie bietet der Keramik eine Möglichkeit, aus ihrer gewohnten Erscheinung herauszutreten. Ihre großformatigen Arbeiten etwa, die nicht aus Einzelteilen zusammen- gesetzt sind, stellt sie in einem Stück her. Welch ein Aufwand! Für den Brand sind dementsprechend große Öfen im Einsatz. Das Maß und die Durchgängigkeit übersteigen die allgemeine Vorstellung von Kera- mikkunst. Hinzu kommen Farbkombinationen und Farbauftragstechniken, die auf den ersten Blick nicht unbedingt mit Keramik assoziiert werden. Stefanie Brehm arbeitet hauptsächlich mit einer Sprühpistole und Druckluft, durch die die Glasur auf den Scherben aufgetragen wird. Intuition und Pro- fessionalität leiten sie beim Farbauftrag, der sehr frei resultiert, und zwar in der Regel ohne Entwurf oder Vorlage, ohne Muster oder Raster oder nur einer bestimmten Technik entsprechend. Und doch bleiben ihre Gesten und Bewegungen während des Farbauf- trages meist nachvollziehbar. Farbe auskratzen oder bewusst mehrere Farben dick übereinanderlegen, was zu Inselbildungen oder leichten Bläschen in der Gla- sur führen kann - Methoden und Erscheinungen, die in der klassischen Keramik als Fehler gelten würden, akzeptiert sie oder führt sie ganz bewusst herbei. Auch wenn sie sich zunächst nicht auf einen Werk- stoff, zum Beispiel die Keramik, festlegen will, spielen Farben auf oder in jedem von ihr verwendeten Mate- rial eine Hauptrolle. Und sie verschmelzen in gewisser Weise mit dem Werkstoff. Form und Farbe, Skulptur und Malerei bilden eine Einheit. Die Leuchtkraft der Farben wird durch die glänzende Oberfläche einer Glasur oder eines Kunststoffes noch verstärkt. Die Farbe braucht die Klarheit und Ruhe der zylindrischen Form, um sich frei und schwungvoll ausdehnen zu können. Jede Bewegung folgt einem Impuls, der einer Intuition entspringt. In den Impulsen synthetisieren sich Brehms Gedanken und Empfindungen. Sie richtet ihren Fokus auf die alleinige Vorstellung, mit welchen Farben die Skulptur eine Verbindung eingehen möch- te. Auf was bekommt sie Lust? Und dann schnappt sie sich ein paar der gebrannten Farbplättchen, die ihr zeigen, wie die Farben tatsächlich nach dem Brand aussehen. So kommen meist zwischen drei und zehn Farben zusammen, mit denen sie dann letztendlich auf der Keramik arbeiten wird. Und dann beginnt ein zügiger Marathon der Entscheidungen. Welche Farbe dominiert, welche Farben kommen zuerst, welche zum Schluss, mit welchen Gesten möchte sie arbeiten? Sollen die Hauptlinien vertikal, horizontal, diagonal oder kreisförmig verlaufen? Wo gilt es, die Farbe abzutragen, um die darunterliegende freizule- gen? Der Auftrag einer Farbe provoziert den Auftrag der nächsten. Die Farben reagieren aufeinander, bis sich durch deren Bewegung, Aufeinandertreffen und Übereinanderliegen eine gewisse Harmonie einstellt. Die ruhige Phase des Bauens wird konterkariert durch zügige Bewegungen beim Farbauftrag. Zufall und Überraschung sind die “Assistenten“ und treten oftmals in den Übereinanderlagerungen von mehre- ren Farben zutage. Erwartung und Spannung steigen nun, denn erst nach dem Brand wird man sehen, wie die verschiedenen Farben miteinander reagiert haben und sich aus Form und Farbe eine Einheit gebildet hat. Auch wenn sich von verschiedenen Standpunkten aus viele eigenständige Bilder ergeben mögen, sind Form und Farbe unzertrennlich. Die Form bestimmt z.B. auch, wie das Licht auf die Farbe fällt. Der glasige Überzug garantiert eine fast schon über- zeitliche Dauerhaftigkeit, denn er erhält die Farb- körper und Farboxide über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende hinweg. So strahlen glasierte Keramiken eine noble Beständigkeit aus. Zopf, 2009 Länge 22 Meter / length 24 yard Luftpolsterfolie / bubble foil Akademie der Bildenden Künste München / Academy of Fine Arts Munich, 2016

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