Kunstkatalog Stefanie Brehm

6 Vom Glück der Farbe auf dem Zylinder Wie Stefanie Brehm elementare Formen in Bewegung versetzt Prof. Dr. Johannes Kirschenmann Der Kreis und der Zylinder Für ihre keramische Form mögen sich die Attribute streng und rational eignen. Die Farbe dagegen “stört“ oder tangiert zumindest diese Ruhe der Form – da gerät einiges in Bewegung. Es regieren bei Stefanie Brehm Emotion und konzentrierte Ruhe. Beinhaltet doch „Konzentration“ immer auch das Wort „zent- rieren“. Und genau darum geht es in der Bauphase an der Drehscheibe ständig. Ihre auffallende Zuneigung zum Zylinder, als einer offensichtlich sehr geeigneten Form, resultiert zunächst aus ihrer Vorliebe zum Kreis und zum Drehen auf der Drehscheibe. „Egal, was man darauf macht, es ist irgendwie rund. Der Zylinder ist für mich ein in die Höhe gezogener Kreis“, merkt die Künstlerin salopp aber bündig an. Sie dreht und treibt den Ton regelrecht in die Höhe, lässt den Zylinder zur Monumentalform aufsteigen. Daneben stehen dann später in der Ausstellung verschiedene Varianten in Normalgrößen, zumindest was die traditionelle Er- wartung gegenüber der Keramik anbelangt. In modifizierter Weise lässt sich die Kreisform in vielen ihrer früheren Malereien finden. Dabei war es ihr immer wichtig, den geometrisch perfekten Kreis zu vermeiden. Ja, vielleicht korrespondiert die wieder- kehrende Kreisform auch mit ihrer Freude am Tanzen, eine Passion, die die Künstlerin während ihrer Stu- dienzeit auslebte. Wenn man die Assoziationskette fortführt, dann gilt, dass jede Materie, jeder Körper und auch die Gedanken reine Schwingungen sind. Niedrig- oder hochfrequent breiten sich diese immer kreisförmig im Raum aus und schaffen Verbindungen und Kommunikation. Für die Künstlerin sind Kreise Bewegung, doch sie stehen auch für Expansion und symbolisieren Beständigkeit und Ordnung. Der Zylinder ist statisch gesehen sehr gut geeignet für große, keramische Skulpturen. Das ist aber nicht der Grund, weshalb Stefanie Brehm primär mit dieser Form arbeitet. Sie zielt auf eine in sich ruhende, un- aufgeregte Skulptur im Raum, die der Malerei maxi- male Wirkkraft verleiht. Die Seitenfläche des Zylin- ders bildet eine Endlosform, mit vielen verschiedenen Ansichten. Beim Umschreiten behält die Skulptur immer die gleiche Silhouette. Für Stefanie Brehm steht die Säule für das beständige, unaufgeregte Sein. Die Form stellt eine Verbindung zwischen dem Irdischen und dem Kosmischen her. Die Luftsäule in unserem Körper – während wir tief atmen – korrespondiert mit ihr, genauso wie unsere Wir- belsäule. Die Maße der großen Säulen entsprechen menschlichen Maßen. Stefanie Brehm hat die Körper- größe und die Schulterbreite von Erwachsenen und Kindern als Referenzgrößen beim Bau ihrer Säulen genommen. Im Raum stehend, nehmen sie Beziehung zueinander auf. Je nach Raumsituation steht jede mal für sich oder Gruppen finden einander. Bedeutung weist die Künstlerin auch dem oberen gewölbten Abschluss zu; er ist fest verbunden mit dem Zylinder. Leicht konvex geformt, lässt er die Säule aufsteigen und sie zudem leichter erscheinen. Der Farbauftrag unterstützt diese Suggestion der visuellen Leichtigkeit. Für Stefanie Brehm handelt es sich hierbei nicht um einen Verschluss, sondern um eine Empfangskuppel, die von oben etwas aufnimmt und es in die Säulenwände überträgt. Die gesprühten Farben auf den Abschlüssen fördern diese Intention. Doch der Blick von oben auf die Werke, 180 cm und höher, ist nicht jedem Betrachter möglich. So kam der Künstlerin die Idee, an die Säulenkuppel angelehn- te, konvexe Scheiben in größerem Durchmesser von 70 cm herzustellen, die an der Wand hängend oder auch liegend präsentiert werden können. Mit dem Artist-in-Residence-Aufenthalt im europäi- schen Keramikzentrum Oisterwijk in den Niederlan- den 2018 verwirklichte die Künstlerin ihren Wunsch, große Keramiken auch für den Außenbereich tauglich zu machen. Mit einer speziellen Rezeptur des Tones, entsprechend hochbrennenden Glasuren und sehr langsam geführten Bränden, wurden Risiken weitest- gehend minimiert. Es gelang ihr, die Säulen bei 1240 Grad Celsius schadenfrei zu brennen. Durch die Ver- sinterung des Tones bei hohen Temperaturen nimmt der Ton kein Wasser mehr auf und ist somit im Winter frostfest. Das garantiert nur das Professionskönnen und gerade in der modernen Keramik sind Kunst und Handwerk “unzertrennliche Geschwister“, oder um es mit Stefanie Brehms Worten auszudrücken: „Beide lieben sich und gehen Geist in Hand.“ Denn, so führt sie weiter aus, jede Erschaffung materieller Gegenstände gehe zunächst vom Geistwerk aus, also der künstlerischen Idee, und dann ins Handwerk, in die Umsetzung, über. Egal, ob der Künstler selbst das Handwerk ausführt oder es ausführen lässt. Sie schätzt die handwerkliche Arbeit, denn bei ihr weiß sie genau, was zu tun ist, wo über Tage oder Wochen hinweg gleiche Arbeitsabläufe die Herstellung be- stimmen. Das Handwerk bringt und birgt Kontinuität und Konzentration. Doch zum Handwerk tritt das künstlerische Können.

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